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17.10.2014 | JU371 | A319 | YU-APA | LSZH | Triebwerksprobleme


SenoL

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Der Schlussbericht ist kürzlich erschienen.

 

 

 


Kurzdarstellung

Das Flugzeug Airbus A319-132, eingetragen als YU-APA, startete am 17. Oktober 2014 um 08:39 UTC unter Flugplankennzeichen ASL 371 zu einem Linienflug von Zürich (LSZH) nach Belgrad (LYBE). Auf diesem Flug steuerte der Copilot das Flugzeug.

 

Bedingt durch ein Leck im luftgekühlten Ölkühler des rechten Triebwerks (right engine – ENG 2) ging Öl verloren und der Öldruck sank rapide. Eine Minute nach dem Abheben wurde die entsprechende Warnmeldung generiert. Der Kommandant verlangte umgehend eine Rückkehr nach Zürich. In der Folge wurde ENG 2 abgestellt.

 

ASL 371 bekam auf Verlangen eine Steuerkursangabe nach Osten und anschliessend die Freigabe für einen Sichtanflug (visual approach) auf die Piste 28. Bis zum Eindrehen auf die Pistenachse flog das Flugzeug auf einer Höhe von 7000 ft QNH mit einer konstanten angezeigten Geschwindigkeit von 250 kt. Beim Eindrehen auf die Pistenachse querte ASL 371 dieselbe, wobei eine Querlage von 37 Grad erreicht wurde.

 

Nach einem unstabilisierten Anflug, bei dem das verbleibende Triebwerk sich während des ganzen Endanfluges und bis zum Aufsetzen auf der Piste im Leerlauf (idle) befand, setzte das Flugzeug 320 m nach der Pistenschwelle auf. Die nicht armierten ground spoilers fuhren 7 Sekunden später systembedingt aus, als die Schubumkehr (reverse) betätigt wurde. Das Flugzeug kam rund 60 m nach der Kreuzung der Piste 28 mit der Piste 16 zum Stillstand und rollte anschliessend aus eigener Kraft zum Standplatz. Besatzung und Passagiere konnten das Flugzeug auf normalem Weg verlassen.

 

 

Ursachen

Der schwere Vorfall ist darauf zurückzuführen, dass die Flugbesatzung überhastet und ohne vorausgehende Situationsanalyse einen risikobehafteten Landeanflug einleitete, nachdem sie aufgrund eines Lecks im luftgekühlten Ölkühler kurz nach dem Start das rechte Triebwerk abgestellt hatte.

Die folgenden Faktoren haben zum schweren Vorfall beigetragen: 

  • Mangelnde Zusammenarbeit (crew resource management) der Flugbesatzung;
  • Nicht-Befolgen von systemtechnischen und betrieblichen Vorgaben;
  • Geringe Erfahrung der Flugbesatzung auf dem Vorfallmuster.

Die Untersuchung hat folgende Faktoren ermittelt, welche die Entstehung und den Verlauf des schweren Vorfalls zwar nicht beeinflusst haben, die aber dennoch ein Sicherheitsrisiko (factors to risk) darstellen:

  • Nicht sofortiges Abstellen des Triebwerks nach erfolgter Warnmeldung (master warning);
  • Die Flugbesatzung landete das Flugzeug, ohne eine Landefreigabe erhalten oder verlangt zu haben.

 

Sicherheitsempfehlungen Im Rahmen der Untersuchung wurde keine Sicherheitsempfehlung ausgesprochen.

 

Ganzer Bericht: http://www.sust.admin.ch/pdfs/AV-berichte//2285_d.pdf

 

 

Interessant vor allem die Einblicke im Teil "Menschliche und betriebliche Aspekte":

 

 

 

Gemäss den Gesprächsaufzeichnungen im Cockpit wurde die Warnmeldung (master warning) ENG 2 OIL LO PR umgehend vom Kommandanten angesprochen. Dieses Verhalten war situationsgerecht und schloss den Copiloten in die Lage mit ein, zumal der Autopilot zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugeschaltet war und der Copilot als PF seine Aufmerksamkeit in erster Linie der Steuerung des Flugzeuges zuwandte. Unverzüglich darauf verlangte der Kommandant einen „immediate return to the airport”. Er traf diesen Entscheid, ohne mit dem Copiloten darüber gesprochen zu haben und ohne unter Zeitdruck zu stehen. Dies widerspricht den Grundsätzen des crew resource management (CRM) in einem Zweimann-Cockpit und steht im Widerspruch zum guten CRM-Verhalten, das dem Kommandanten während der Ausbildung mehrmals attestiert wurde (vgl. Kapitel 1.5.1.1.2). Das weitere Vorgehen der Flugbesatzung wurde durch diesen raschen Entscheid des Kommandanten beeinflusst. Die dadurch hervorgerufene Hektik zieht sich wie ein roter Faden durch den weiteren Flugverlauf. Hinzu kommt, dass sich der Kommandant durch seinen Entscheid, der durch die Flugverkehrsleitung optimal unterstützt wurde, von Beginn weg mit Funkgesprächen unnötig belastete. Dadurch wurde allen anderen relevanten Faktoren zur sicheren Durchführung des bevorstehenden Anfluges zu wenig Beachtung geschenkt. Die folgenden Punkte sollen diese Schlussfolgerung belegen.

 

(...)

 

Bedingt durch die Kommunikation mit dem FVL verging nach dem Auslösen der Warnmeldung über 1 Minute, bis der Leistungshebel in die Leerlaufstellung gebracht wurde. Der master switch musste zweimal angesprochen werden und erst 1 Minute und 35 Sekunden nach dem Erscheinen der Warnmeldung wurde dieser in die Stellung OFF gesetzt.

 

 

(...)

 

Der Entscheid für eine unverzügliche Rückkehr zum Flughafen erfolgte ohne eine Situationsanalyse, wie sie vom Flugbetriebsunternehmen im OM B im Kapitel „3.10.1 Evaluate situation (TARD)” (vgl. Kapitel 1.17.1.3) festgehalten ist. Diese sollte nach dem Ausführen der Prüfliste durchgeführt werden. Im vorliegend untersuchten schweren Vorfall ist dem Entscheid einer unverzüglichen Rückkehr keine solche Situationsanalyse vorausgegangen.

 

 

(...)

 

Eine Situationsanalyse hätte ferner gezeigt, dass kein Anlass für eine unverzügliche Rückkehr bestand. Auch die Aufforderung LAND ASAP die bernsteinfarben (amber) auf dem ECAM angezeigt wurde (vgl. Kapitel 1.17.1.4, Abbildung 16), verlangte dies per Definition nicht (vgl. Kapitel 1.17.1.3 und 1.17.1.4).

 

 

(...)

 

Die Option eines Instrumentenanfluges auf eine der über 1 km längeren Pisten 34/16 oder 14, mit einem normalen Gleitwegwinkel von 3°, wurde nicht in Betracht gezogen. Die vom Kommandanten erwähnte Überlegung, wegen der windmilling time nicht in eine Warteschlaufe zu fliegen und wegen eines möglichen Ausfalls des verbleibenden Triebwerks in VMC und über dem Gleitweg zu bleiben, vermag nicht zu überzeugen. Entscheidend ist in einem solchen Fall, die Treibstoffzufuhr raschmöglichst zu stoppen. Die windmilling time ist nicht von Bedeutung, sie mag wohl für die Wartung interessant sein, für den Piloten steht jedoch die sichere Durchführung des Fluges an erster Stelle. Einen möglichen Ausfall des verbleibenden Triebwerks in die Anflugplanung einzubeziehen, erscheint mit Blick auf die im vorliegenden Fall äusserst geringe Eintrittswahrscheinlichkeit als wenig praxisbezogen. Vor dem Hintergrund des daraus folgenden unstabilisierten Anfluges wurde hier diesem Aspekt zu hohe Priorität eingeräumt.

 

 

(...)

 

Die zu hohe Geschwindigkeit konnte jedoch nicht reduziert werden, weil sich das Flugzeug beim Ausfahren des Fahrwerks immer noch 1700 ft über dem nominalen Gleitweg befand. Beim Versuch, auch für den visual approach einen Gleitweg von rund 3° anzustreben, erhöhte sich die Sinkrate auf einen maximalen Wert von 2880 ft/min. Während des ganzen Endanfluges bis zum Aufsetzen (touchdown) blieb das verbleibende Triebwerk im Leerlauf. Dieser Umstand birgt unter anderem das Risiko, dass die Flugbesatzung aufgrund der triebwerkbedingten Leistungsverzögerung (spool up delay) nicht unverzüglich den für einen sicheren Durchstart verlangten positiven Lagewinkel (nose up attitude) einnehmen kann.

 

 

(...)

 

Auch wenn die beiden Piloten gemäss den Bedingungen des Flugbetriebsunternehmens nicht mehr als unerfahren galten (vgl. Kapitel 1.17.1.2) und somit als Besatzung zusammen eingesetzt werden konnten, ist die SUST der Überzeugung, dass die noch geringe Erfahrung der beiden Piloten auf dem Flugzeugmuster Airbus im ganzen Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren wie Flugverfahren, Flugwegwahl und technischen Problemen eine Rolle gespielt hat.

 

 

 

 

 

 

LG,

 

Tis

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Kurze Theoriefrage zu Mayday bzw. Pan; ich habe aus "Luftfahrtkreisen" gehört, Mayday wird grundsätzlich dann ausgerufen, wenn akute Gefahr besteht oder innert Kürze eintreten wird, "Pan Pan" wenn zwar Priorität verlangt wird, allerdings keine akute Gefahr besteht.

 

Was jetzt als akute Gefahr eingestuft wird, ist natürlich Company-SOP-abhängig.

 

 

Inwiefern stimmt das?

 

 

Ric

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Unverzüglich darauf verlangte der Kommandant einen „immediate return to the airport”. Er traf diesen Entscheid, ohne mit dem Copiloten darüber gesprochen zu haben und ohne unter Zeitdruck zu stehen.

Ich gehe zwar davon aus, die Unfallermittler haben das auch betrachtet, aber gut möglich dass diese Absprache bereits beim Take-off briefing getroffen wurde.

Ich bin eine Zeit lang viel Jumpseat geflogen, und das war für mich der am wenigsten harmonisierte Teil der Cockpitverfahren (innerhalb der selben Flotte und Airline): Manche haben vor dem Aufrollen diverse Szenarien vorbesprochen, manche haben gar nichts über die Checkliste hinaus gemacht.

 

Es ist auch ein bisschen komisch, dass manchmal das sofortige Handeln kritisiert wird (Eine Situationsanalyse hätte ferner gezeigt, dass kein Anlass für eine unverzügliche Rückkehr bestand), und manchmal das zögerliche (Nicht sofortiges Abstellen des Triebwerks nach erfolgter Warnmeldung).

 

Unstabilisierter Anflug ist natürlich immer eine ganz dumme Idee... Aber einige der Ideen des Piloten waren es nicht wirklich (z.B. Windmillingzeit eines Triebwerks ohne Öldruck zu minimieren, über dem Gleitpfad zu bleiben weil ein komplettes Blockieren des Triebwerks mit entsprechendem Widerstand droht), aber definitiv unnötig und ausserhalb der üblichen Verfahren. Überkurven ist ein Klassiker, wenn IFR Piloten die Meilenlange ILS-Anflüge gewohnt sind plötzlich mal eine enge Platzrunde fliegen, und die auch noch abkürzen. Aus gutem Grund hat die Platzrunde einen Queranflug, und den auch noch 90° zur Pistenachse... (siehe Abbildung 11 aus dem FCOM, Seite 29 des Berichts)

 

Ob der Bericht genauso ausgesehen hätte, wenn es ein LH- oder Swiss-Pilot gewesen wäre? Schlussendlich ist ja nichts passiert, die Pistenlänge hat völlig ausgereicht, es wurden keine Bremsen oder Fahrwerke beschädigt, niemand verletzt.

 

Gruß

Ralf

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 Schlussendlich ist ja nichts passiert, die Pistenlänge hat völlig ausgereicht, es wurden keine Bremsen oder Fahrwerke beschädigt, niemand verletzt.

 

Gruß

Ralf

 

Ralf - mit so einer Leistung fällt die Besatzung beim Prof. Check schlicht durch.

 

Wolfgang

Bearbeitet von Maxrpm reserve
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Ralf - mit so einer Leistung fällt die Besatzung beim Prof. Check schlicht durch.

 

Wolfgang

Bei einem Prof.-Check hätten sie es höchstwahrscheinlich auch anders gemacht.

 

Gruß

Manfred

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Und der kleine Auslöser vom Ganzen- ein Ölkühler welcher kein Originalteil, sondern ein ?überholtes?umgekennzeichnetes aus 2mach1-Teil war, hat auch ein wenig Geschmäckle, wie es hier heißt. Das gibts wohl nicht nur in Afrika, sondern auch in Osteuropa noch.

Da möchte ich mal nicht Ist-Zustand aller Komponenten :(  mit der L-Akte :blush:  checken... :huh:

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Ralf - mit so einer Leistung fällt die Besatzung beim Prof. Check schlicht durch.

Das bezweifle ich keineswegs. Die Frage ist, ob hier beim Check der Schwerpunkt auf die richtigen Details gelegt wird.

Dass das keine Glanzleistung war ist unbestritten, nur ist ja im Prinzip nichts passiert. Wie knapp es war, wird im Bericht nicht wirklich angesprochen. 37° Schräglage in Bodennähe ist sicher nichts, was man zum Standardverfahren erklären sollte, aber wenn sie es sauber und mit ausreichend Fahrt und Reserve zu den Limits (z.B. g´s mit Klappen...) geflogen haben, hat es keine wirkliche Gefahr dargestellt. Sonst hätte es der Airbus ja auch gar nicht erlaubt :P

Insofern finde ich es bedenklicher, wenn Piloten es schaffen bei einem Stanadardanflug bis in die Stallwarning oder ins GWPS zu fliegen, als wenn sie einen "Stunt" wie eine Kurve mit 37° Schräglage in Bodennähe sauber fliegen.

 

Da möchte ich mal nicht Ist-Zustand aller Komponenten :(  mit der L-Akte :blush:  checken... :huh:

Das möchte ich bei so mancher Airline nicht... Da werden in vielen Unfallberichten haarsträubende Details aufgedeckt, die aber in der Regel nicht als eigentliche Unfallursache angesehen werden, weil wir genug Redundanz vorsehen, um den Airlines einiges an "Wurschtelei" durchgehen lassen zu können. Man kann es auch als realistische Sicht auf die täglichen Herausforderungen in der Wartung sehen...

 

Gruß

Ralf

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Ob der Bericht genauso ausgesehen hätte, wenn es ein LH- oder Swiss-Pilot gewesen wäre?

Man vergleiche den Bericht mal mit diesem (Swiss A330 mit Ausfall eines Hydrauliksystems).

Auch hier wird im Nachhinein festgestellt, dass die beschleunigte Overweight-Landung nicht notwendig war, der Pilot in aller Ruhe seinen Sprit hätte verfliegen können, aber seine Entscheidung nachvollziehbar war (Ein nichtbefolgen der SOPs "der Situation angepasste Überlegungen" waren...).

 

Ohne beide CVR Aufzeichnungen mal live gehört zu haben, ist es natürlich schwierig zu beurteilen, was nun genau jeweils im Cockpit los war.

 

Gruß

Ralf

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