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Airbus A320 – eine Hommage zum Dreissigsten


Lubeja

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22. Februar 1987, im Jahr drei nach der Orwellschen Totalüberwachung. Seit einem knappen Jahr kannten wir endgültig die Risiken moderner Technologie. Während man bei Tschernobyl noch über Sowjet-Technik die Augen verdrehte, führte uns spätestens der Crash des Space Shuttles Challenger vor Augen, das auch westliche Hightech nicht ohne Fehl und Tadel ist. Das waren übrigens so meine ersten beiden medialen Grossereignisse, die ich damals als Kind bewusst mitbekommen habe. Überhaupt, Medien: SAT1 und RTL+ waren damals ziemlich frisch empfangbar und stellten die gerade noch erträgliche Obergrenze dessen dar, was man überhaupt als Medien begriff. Aber auch in unserer Wohnung hatte endgültig die Digitaltechnik Einzug gehalten, mit der Anschaffung eines zeittypischen, wenn auch schon damals nicht mehr ganz dem Begriff Hightech gerecht werdenden Home-Computers des Typs Commodore C64.
 
Nicht, dass damals jemand einen Computer mit dem Begriff Medien in Verbindung gebracht hätte – das waren bessere Schreibmaschinen mit einem Monitor. LOAD“*“,8,1 – oder wie ging die Befehlszeile schon wieder, die man eintippen musste, um mühsam und minutenlang ein 500KB-Progrämmli von der 5 ¼ Zoll-Diskette zu kratzen? Auf gar keinen Fall aber etwa sollte es ein Atari sein, obwohl darin die genau gleiche Technik werkelte… Das war das damalige Gegenstück zum heutigen Fanboy-Krieg zwischen iOS und Android. In der Geschäftswelt hingegen waren bereits PC’s mit INTEL 80286 Prozessoren Standard, auch eine Konstruktion, die älter ist als ich selber. Aber just an diesem Tag lernte dieser Prozessor fliegen.
 
Das eigentlich spannende an dieser Geschichte ist der zeitliche Verlauf. Denn seit dem 4. Oktober 1958 waren erst 28 Jahre, 4 Monate und 18 Tage vergangen – jenem Tag, als zum ersten Mal ein strahlgetriebenes Passagierflugzeug nonstop den Atlantik überquerte. Eine De Havilland Comet 4 war es damals, die sich als erste anschickte, all den altehrwürdigen DC-7 und Lockheed Constellations den Garaus zu machen. Ein kurzes Intermezzo, schon 4 Wochen später übernahm die Boeing 707 diesen Job, zusammen mit anderen klangvollen Namen wie Il-62 und DC-8. Aber selbst diese Ära dauerte gerade mal gut zehn Jahre, bis Jumbo und Concorde die Grenzen der älteren Konstruktionen aufzeigten. Bereits nur wenige Jahre später befeuerten jedoch Ölkrisen das vorzeitige Ende des Überschall-Linienflugs, während sich in Europa die Airbus A300 anschickte, zu zeigen, wie man bei einem Grossraumflugzeug im schallnahen Bereich ein Triebwerk und viel Sprit spart. Und nur zwölf Jahre nach dem Jumbo folgten mit Boeing 767 und A310 die letzten Sargnägel für die Ära der Dreistrahler. Da flogen die Comets, nur 23 Jahre nach jenem denkwürdigen Transatlantikflug, schon gar nicht mehr.
 
Auch auf der Kurzstrecke herrschte in jenen Jahren ein reges kommen und gehen. War die Caravelle Ende der Fünfzigerjahre noch der ganze Stolz nationaler Airlines und Inbegriff des mondänen Reisens, wurde auch diese Konstruktion keine zehn Jahre nach ihrem Erscheinen von Boeing 737, BAC1-11 und Douglas DC-9 arg bedrängt und musste kurz darauf ihre Karriere als billiges Secondhandflugzeug für Charterklitschen weiterführen. Wegbereitend wurde sie nur noch einmal kurz, als sie als Testbett für ein Triebwerk diente, was seinerseits all den Rolls Royce Spey’s und Pratt&Whitney  JT8-D’s früherer Zeiten das fürchten lernte. Das war 1977:
 
http://www.museesafran.com/video/91?shadowbox=1

Und wie Volkswagen den Golf I mit dem Golf II erfolgreich weiterführen konnte, schaffte Boeing mit diesem Triebwerk und der 737-300 den Generationenwechsel. Etwas, was man von McDonnell Douglas und ihrer DC-9 Super 80 leider nicht im gleichen Umfang behaupten konnte und was sich später noch rächen sollte.
 
Und so hatten wir nun den 22. Februar 1987 – keiner der dreissig Jahre zuvor neuen, topmodernen und Geschichte schreibenden Flugzeugtypen wurden noch produziert. Einige fristeten noch in wenigen Exemplaren ein trauriges Dasein als billig zu erstehendes Arbeitsgerät für mittellose Betreiber in Entwicklungsländer. Andere waren bereits endgültig beim Schrotthändler gelandet, ihre Betriebserlaubnis unumkehrbar erloschen, als sich in Toulouse-Blagnac eine neue Generation von Passagierflugzeug in die Lüfte erhob.
 
Und heute, noch einmal dreissig Jahre später, fliegt jenes Flugzeug, das an jenem Tag Ende der Achtzigerjahre seinen Erstflug hatte, nach wie vor zu tausenden in der Welt herum. Immer noch gesteuert von 286-er Prozessoren übrigens. Erst vor kurzem erlebte diese Maschine dank eines neuen Motors den Wechsel vom Golf I zum Golf II, während die herkömliche Variante mit dem vier Jahrzehnte alten Treiber nach wie vor produziert wird. Die Orderbücher sind randvoll und der Typ gilt sowohl bei Fachleuten wie auch bei Passagieren immer noch als topmodern. Wir sprechen heute immer davon, wie sich die Welt immer schneller dreht. Spannenderweise scheint dies für Flugzeuge nicht im gleichen Mass zuzutreffen. Stattdessen fliegen wir seit drei Dekaden die gleichen Flugzeuge – ein Zeitraum, in dem zuvor drei technische Generationen kamen und gingen. Sollten wir uns nun in die Behauptung versteigern, der A320 sein ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten? Ein Anachronismus in Zeiten von A350 und CSeries? Oder ist es vielleicht nicht schlicht eher so, dass das Passagierflugzeug erwachsen geworden ist? Wie auch immer – Happy 30th Birthday Airbus A320!

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super beschrieben!

 

bin kürzlich das erste mal C-series geflogen und mir kam beim aussteigen genau der gedanke...

jetzt steig ich zwar aus einem brandneuen und sicherlich "nicht schlechten" flugzeug aus, aber irgendwie musste ich sagen: "give me a '320 any day"... 30 jähriges, zeitloses design und kein bisschen "out", ganz im gegenteil. selbst in der high densitygsten / low costigsten version... passt einfach. freue mich besonders auf die 321neo, auf die nächsten 30 jahre!

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Kann ich bestätigen. Für mich am erstaunlichsten war eine Ur-A320 zu fliegen. Es war die MSN 36, gebaut für Iberia. Sie war selbst nach 25 Jahren gut im Schuss. Die Flugcharakteristik ist wie bei einem neuen Gerät (die bin ich nämlich auch geflogen). Das typische "Auswringen" und "Geknorze" an abgenützten mechanischen Teilen, Seilen, Zügen usw - wie bei konventionellen Maschinen - war nicht zu verspüren.

 

Gäbe Airbus keine Limitation bei den Stunden/Zyklen/Landungen durch, das Teil würde ewig leben - und mit der entsprechenden Pflege und Ersatzteilen - sich anfühlen wie am ersten Tag.

 

Dani

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Wahnsinn wie die Zeit vergeht, und wie sich die Perspektiven verschoben haben.

 

Als ich 1975 in einer 4 Jahre alten BAC 1-11, 1977 in einer 15 Jahre alten CV990 oder 1988 in einer 12 Jahre alten 727 geflogen bin, da bin ich in Oldtimer eingestiegen, in Dinosaurier.

Als ich in den 80ern auf einer 18 Jahre alten Ka7 das Fliegen gelernt habe, da habe ich mich in eine andere Welt versetzt gefühlt (so muss schon mein Opa das Fliegen gelernt haben...).

 

Heute steigen wir in 30 Jahre A320 ein, und haben das Gefühl mit einem hochmodernen Flugzeug zu fliegen.

 

Dabei ist das Flugzeug bis auf die FBW Steuerung ein sehr konventionelles, risikoarmes Design ohne jeden Hightech gewesen. An dem Flieger war nichts, was nicht auch schon so in einer 757 oder einem A300-600 geflogen wäre. Einfach nur ein gutes State of the Art Design, genau auf den Markt passend. Und vielleicht gerade deshalb so genial.

 

Gruß

Ralf

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Auf der Zeitachse gehen die 'Grenzverbesserungsmöglichkeiten' dramatisch nach unten und irgendwann gemäss Lehrbuch gegen 0. Oder umgekehrt: die neusten Flieger haben keine signifikanten Verbesserungen/Errungenschaften/Technologien mehr (ausser jetzt Kunststoff in der 787, aber der ist ja als Werkstoff auch alt).

 

Was mich aber schon wundert ist die 286-er Prozessoren Grundlage der Computer. Aber offenbar fehlt niemandem was.

 

Bei den Autos habe ich einen anderen Eindruck: bin kürzlich Ur-Quattro gefahren - Welten zu heute....

 

Markus

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Es gab da zwei wichtige Änderungen die für die meisten von uns gar nicht sichtbar werden:

Da wurde mit Einführung der A321-200 das Flügeldesign angepasst so dass die Versionen mit einem MTOW über 90t überhaupt möglich wurden, und gleichzeitig die Grundlage geschaffen dass Scharklets überhaupt möglich waren...

 

Dann kam mit der A318 die Einführung der LCD Screens und einem Upgrade der ganzen Boxen.

 

Zudem nett, aber nicht entscheidend: die Kabinenupgrades sind bis auf ganz kleine Ausnahmen durchwegs nachrüstbar. Da kann es vorkommen dass man trotz neuester Kabine in einem 15 Jährigen Flieger sitzt...

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Was mich aber schon wundert ist die 286-er Prozessoren Grundlage der Computer

Meines Wissens sind es sogar 80186 Prozessoren, die IBM nie in ihren PC/XT/AT Modellen eingesetzt hat. Und natürlich Motorola 86000, schließlich wollte man ja echte Redundanz.

 

die neusten Flieger haben keine signifikanten Verbesserungen/Errungenschaften/Technologien mehr

So ein paar Sachen fallen mir da schon noch ein: Superkritische Profile, Winglets, vollelektrisch (keine Hydraulik / Pneumatik mehr), Elektrik mit variabler Frequenz, künstliche Stabilität... Und aus der Segelfliegerei bekannte Errungenschaften wie Laminarprofile oder adaptive Flügel (Wölbklappen) werden bisher auch noch nicht genutzt. Von modernen Fertigungsverfahren mal ganz abgesehen.

Es ist allerdings in der Tat faszimierend, in welchen Jahren vermeintlich neue Technologie erstmals eingesetzt wurde. Da staunt man bisweilen gewaltig, wie weit unsere Altvorderen, insbesondere die erste Nachkriegsgeneration mit all den im Krieg gemachten gewaltigen Fortschritten schon waren. Oder wie viele echt antike Details sich heute noch in so manchem Flugzeug findet. Die bisweilen allerdings wesentlich preiwerter und zuverlässiger sind, als ihr modernes Pendant.

 

Bei den Autos habe ich einen anderen Eindruck:

Die meisten heute im Auto verwendeten Technologien sind auch alles andere als neu. So manches, was im Flugmotorenbau des zweiten Weltkriegs Standard war, hat die Automobilindustrie in den 90ern angefangen einzusetzen... So manches was einem heute als modern verkauft wird, hatten vereinzelte Automodelle schon in den 70ern. Und Flugzeuge schon in den 60ern (z.B. ABS). In den Deutschen Zeppelinen gab es schon um 1910 Motoren mit Direkteinspritzung, Vierventiltechnik, Rollenschlepphebeln und obenliegenden Nockenwellen...

Audi (VAG) war in den 80ern nicht unbedingt die technologische Speerspitze in der Automobiltechnik... Im Golf II findet sich noch verflucht viel Käfertechnik aus den 40ern.

 

Gruß

Ralf

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Bei den Autos scheint aktuell der Fortschritt auch nicht mehr wirklich auf der eigentlichen Funktion des Autos, nämlich das Vorwärtskommen von A nach B, zu liegen, sondern auf anderen Sachen. Sieht man schön in der Werbung. Wurde früher noch mit fahrtechnischen Errungenschaften oder verbesserter Effizienz geworben, konzentriert man sich heute eher auf Dinge wie "30% mehr Helligkeit mit Matrix-LED", "Sprachsteuerung zum Lesen von SMS" oder "Öffnen des Kofferraums mithilfe einer Fussgeste" und dergleichen zu konzentrieren...

 

Grüsse

Ernst

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