Tigerstift1 Geschrieben 28. Juli Geschrieben 28. Juli (bearbeitet) Liebe Flightforum-Community, (nur als Randnotiz, Ich arbeite nicht für die Swiss habe dieses Thema aber schon die letzten Jahre zu genüge ertragen müssen) aktuell sorgt die Nachtschichtregelung bei der Swiss-Technik für Diskussionen – auch öffentlich durch einen Blick-Artikel (https://www.blick.ch/wirtschaft/techniker-haessig-auf-airline-wegen-nachtarbeit-gewerkschaft-will-swiss-managerin-absetzen-id21087469.html?utm_medium=social&utm_campaign=share-button&utm_source=copy-link). Im Fokus: das 5/5-Nachtmodell (5 Nächte à 11 Stunden, dann 5 Tage frei), das nur noch bis Ende 2025 über eine SECO-Ausnahmegenehmigung zulässig ist. Danach soll ein gesetzeskonformes Schichtmodell eingeführt werden – was bei Mitarbeitenden und der Gewerkschaft SEV-GATA auf deutlichen Widerstand stößt. Gesetz vs. Betriebsrealität Das Schweizer Arbeitsgesetz sieht bei Nachtarbeit: max. 9 Stunden effektive Arbeit innerhalb eines 10-Stunden-Fensters vor Regelmäßige Nachtarbeit nur mit SECO-Bewilligung Gesundheitsschutz steht im Zentrum – berechtigt, aber ohne Branchendynamik zu berücksichtigen Und hier beginnt das Problem: Line Maintenance ist keine klassische Industriearbeit. Warum Line Maintenance anders funktioniert Wir reden von flugbetriebsabhängiger Instandhaltung mit: Fixem Wartungsprogramm (OEM, CAMO, Behörde) Täglich ca. 30 % ungeplante Arbeiten (MELs, TLBs, ADs, Tech Calls) Und ganz klar: „Flugzeuge warten heißt auch: warten.“ In diesem Kontext zählt nicht die geleistete Arbeitszeit, sondern die Anwesenheit zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Produktivität ≠ gearbeitete Stunden, sondern: Produktivität = Verfügbarkeit + Reaktionsfähigkeit + Kompetenz zur richtigen Zeit. Arbeitgeber müssen umdenken Ein wesentlicher Denkfehler liegt auch bei den Arbeitgebern: Die Fixierung auf starre Jahres- oder Wochenarbeitszeitmodelle ist in einem hochdynamischen Umfeld wie der Flugzeugwartung nicht mehr zeitgemäß. Natürlich muss der gesetzliche Rahmen beachtet werden, aber: Dieses Spezialgebiet erfordert hochflexible, adaptive Denkmuster Der Fokus muss auf operative Verfügbarkeit und Systemstabilität liegen, nicht auf stundenbasierter Kontrolle Wer glaubt, dass "Arbeitszeitkontrolle = Effizienz" bedeutet, ignoriert 80 % der realen Herausforderungen in Line Maintenance Wirtschaftlicher Risikofaktor – unterschätzt? Wenn mir z. B. ein Kurzstreckenflugzeug wie eine Embraer E190 wegen fehlender technischer Kapazität AOG geht, verliere ich im Schnitt 150.000 USD Umsatz pro Tag – ohne Berücksichtigung von Folgeschäden oder Entschädigungen (consequential damages). Frage in den Raum: Hat das Management hier jemals eine saubere Risikoanalyse gemacht? Oder ist der Fokus in den letzten Jahren durch den starken Einfluss der Cockpit-Gewerkschaften schlicht verschoben worden – weg von der Technik, hin zum Flugbetrieb? (vll ein bisschen reisserisch, aber die Technik ist gewerkschaftlich leider von natur aus schlecht Vertreten) In der Line Maintenance ist jeder verlorene Techniker eine strategische Schwächung. Denn: Einen vollwertig zertifizierten Mechaniker zu ersetzen dauert 3–5 Jahre – Qualifikation, Erfahrung, Human Factors, Aircraft-Familiarization, Nacht- & Bereitschaftseinsatzbereitschaft etc. Der Beruf ist europäisch (EASA) reguliert, nicht national. Und Bewerber vergleichen Arbeitgeber international – auch in puncto Schichtmodelle. Der Mitarbeitermarkt spricht eine klare Sprache 5/5 und 7/7 sind keine Ausnahmen, sondern international etablierte Modelle. Oft sogar mit 12-Stunden-Schichten – nicht, weil der Arbeitgeber das diktiert, sondern weil die Mitarbeitenden es wollen: Planbarkeit Pendelmöglichkeiten Vereinbarkeit mit Familienleben Mehr Erholung bei gleicher Jahresleistung Diskussionsfragen: Wie sieht das bei euch im Betrieb aus? Welche Modelle funktionieren wirklich? Was spricht praktisch und wirtschaftlich gegen 5/5 – und was dafür? Haben wir in der strategischen Planung nicht längst vergessen, dass Technik das Rückgrat des Flugbetriebs ist? Bin gespannt auf eure Perspektiven. Viele Grüße Randnotiz zur Realität im Schichtdienst der Line Maintenance Ein wichtiger Punkt, der oft vergessen wird – gerade von Entscheidern, die eher vom Büro aus argumentieren: Schichtarbeiter – egal ob bei Swiss, Helvetic oder SR Technics – arbeiten weniger Stunden als ihre Büro-Kollegen, dafür aber zu den ungünstigsten Zeiten: Nachts (20:30–07:30 Uhr, inkl. 1 Std. Pause) An Wochenenden, Feiertagen, bei Schnee, Hitze, Regen – immer draußen am Flugzeug Wenn ein Samstag Hochzeit ist, wenn der Schulabend der Kinder ansteht oder am 1. August: Urlaub nehmen ist die einzige Option. Zur Produktivität: Ein realistischer Output pro Nacht liegt bei unter 60 %, weil: Einarbeitung (Manuals, Task Cards) Materialbeschaffung, Tool Management Wartezeiten auf das Flugzeug (kommt meist erst ab 22:00 Uhr rein) Übergaben und Reaktionszeit auf Unregelmäßigkeiten Der Rest dieser "Unproduktivität" ist betriebsnotwendig, um auf Verzögerungen, Wetter, technische Überraschungen etc. flexibel reagieren zu können. Denn: Die Flugzeuge müssen meist 1.5 Stunden vor STD zurückgemeldet sein – ohne Fehlermeldung. Diese 40 % sind nicht verschwendet – sie sind die Sicherheitsmarge, damit kein AOG entsteht. Bearbeitet 28. Juli von Tigerstift1 1 Zitieren
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