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"Rhönsperber" - Kopfüber aus der Gewitterwolke


Thermikus

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Die Dreissigerjahre waren - im Gegensatz zur politischen Entwicklung in Deutschland - ein Eldorado für den Segelflug. Neue Entwicklungen im Segelflugzeugbau ermöglichten bisher nicht für möglich gehaltene Leistungen bei der Nutzung der thermischen Aufwinde (früher waren längere Flüge nur im Hangaufwind möglich). Ob Streckenflüge oder Höhenflüge - ständig wurden neue Rekordmarken gesetzt.

 

Eine bahnbrechende Konstruktion aus dem Jahr 1934 war der "Rhönsperber" von Hans Jacobs. Dieser Segler mit dem auf den ersten Blick etwas plump wirkenden tropfenförmigen Rumpf, der dann allerdings zum Leitwerk hin immer schlanker auslief, besass Knickflügel ähnlich einer Möve, was ihm eine enorme Eleganz verlieh. Das Cockpit hatte eine langgestreckte, in diverse Einzelfenster unterteilte Plexiglashaube, die irgendwie jener des zweimotorigen Kampfflugzeuges Messerschmitt Me 110 ähnelte. Diese Haube hatte man auf den Rumpf aufgesetzt, so dass der Pilot eine sehr gute Sicht nach allen Seiten, nach oben und nach unten und sogar nach hinten hatte. Die Geräumigkeit des Cockpits erlaubte auch stundenlange ermüdungsarme Thermikflüge bei hoher Konzentration.

 

Trotz der für heutige Verhältnisse spartanischen Gleitzahl von 1 : 20 (moderne Kunststoffsegler unserer Zeit brillieren mit Gleitzahlen jenseits von 1:40) wurden mit dem "Rhönsperber" spektakuläre Streckensegelflüge absolviert. Im Jahr 1936 gelang Heini Dittmar (dieser war später an der Erprobung des ersten Raketenjägers der Welt, der Me 163, beteiligt) mit dem "Rhönsperber" die erste Ueberquerung des Alpen-Zentralmassivs von Nord nach Süd mit einer abschliessenden Landung in Italien.

 

1937 erflog Paul Steinig mit diesem Segelflugzeug den damaligen Höhenweltrekord im Segelflug - 5'760 Meter!

 

Der Enthusiasmus und der Pioniergeist der damaligen Segelflieger, die nahezu keine Luftraumbeschränkungen kannten - war fast grenzenlos. Sie schraubten sich vor heranziehenden Gewittern in deren Frontaufwinden hoch und flogen dann oft hunderte Kilometer vor den gigantischen Wolkenwalzen her. Viele stiegen in brodelnde Cumuls-Nimbus-Türme ein, liessen sich wie in einem Kamin im Blindflug von den extremen Aufwinden tausende Meter nach oben reissen und dann in grosser Höhe aus den Gewittergebilden ausspucken.

 

Die Turbulenzen in den Gewitterwolken hatten eine extreme Wucht. Nicht wenige der Segelflieger verloren die räumliche Orientierung - was dann schnell zur Ueberbeanspruchung und zum Bruch der leinwandbespannten Sperrholzvögel führen konnte. Auch das Aussteigen mit dem Fallschirm nahm in solchen Situationen vielfach ein dramatisches Ende. Nach dem Oeffnen des Schirms trugen die starken Aufwinde die Piloten in grosse Höhen, wo sie an Sauerstoffmangel und Kälte starben.

 

Gegen solche Gefahren war der "Rhönsperber" mit neuartigen Sturzflugbremsen ausgerüstet. Diese an den Flügel-Ober- und Unterseiten ausfahrbaren Bremsklappen verhinderten durch die Bildung von starken Luftwirbeln, dass die höchstzulässige Fluggeschwindigkeit - auch im extremen Sturzflug - überschritten und so die Struktur des Flugzeuges bis zum Bersten überbeansprucht werden konnte.

 

Geriet ein Pilot bei einem Gewitterflug in der Wolke in eine nicht mehr beherrschbare Situation, konnte er die Sturzflugbremsen (die in teilweise ausgefahrener Position zur Erhöhung der Sinkgeschwindigkeit bei der Landung dienten) voll ausfahren. Dann fiel er oft kopfüber irgendwann aus der Wolke heraus und konnte seinen Flieger im Sichtflug abfangen und in die Normalfluglage zurückbringen. So reduzierte sich das Risiko bei Blindflügen in starken thermischen Aufwinden massiv, was manchen der damaligen Segelflieger vor dem sicheren Absturz bewahrte.

 

Dietwolf:009:

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