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Fliegen in und über Konfliktgebiete


Rumpelstilzchen

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Rumpelstilzchen

In meinem Umfeld wurde ich in letzter Zeit oft darauf angesprochen, wie es sich zu Kriegszeiten anfühlt, mit einem Verkehrsflugzeug durch die Lüfte zu fliegen. Selbstverständlich haben die Fragenden die aktuelle Situation im Osten von Europa vor Augen. Ich muss als Antwort leider immer wieder betonen, dass ich als Langstreckenpilot in den vergangenen 30 Jahren fast bei jedem Einsatz mit schwellenden Konflikten konfrontiert wurde. 

 

Dabei muss man zwei Szenarien unterscheiden: Fliege ich in ein Krisengebiet oder darüber. Es versteht sich von selbst, das Ersteres wesentlich dramatischer und zum Glück auch seltener ist. Trotzdem kann das vorkommen. In meiner Karriere blieben mir ein Anflug auf Sarajevo 1994 in Erinnerung, wo das Notam von einem Durchstartmanöver abriet, da in der entsprechenden Gegend noch gekämpft wurde. Oder 2001 in Brazzaville, wo wir vor der Landung auf 20'000 Fuss über dem Flugplatz ins Holding mussten und uns beim Stationschef der Sabena erkundigten, ob es am Flughafen aktuell keine Schiesserei gibt. Oder natürlich Tel Aviv, wo mit der Aktivierung des Iron Dome stets gerechnet werden muss. Doch das sind glücklicherweise seltene Ereignisse. Vor Flügen in solche Gebiete werden sorgfältige Risikoanalysen gemacht.

 

Bei Flügen über Risiko- und Konfliktgebiete sieht das etwas anders aus. Als Pilot brauche ich Ausweichflughäfen die regelmässig entlang des geplanten Flugweges liegen. Diese müssen je nach Flugzeugtyp und ETOPS Zertifizierung mehr oder weniger weit auseinanderliegen. Geografische Hindernisse können dazu führen, dass es zusätzliche Zwischenlandemöglichkeiten braucht, da sich die erforderliche Höhe bei einem Triebwerkausfall nicht einhalten lässt. 

Die Anforderungen an solche Flugplätze sind fast ausschliesslich operationeller Natur. Dazu findet man in den Handbüchern der Fluggesellschaften die entsprechenden Vorschriften. 

 

Hier ein Beispiel:

  • AD offers applicable performance requirements and runway characteristics 
  • AD is available and equipped with the necessary ancillary services, such as ATC, sufficient lighting, communications, weather reporting, navaids, approach procedures and emergency services (rescue and fire fighting services complying as further below)
  • Must have adequate facilities and meet certain minimum weather and field conditions 

 

Die politische Situation kommt bei diesen Definitionen nicht vor. Tatsächlich dürfte mit einem Flugplatz geplant werden, solange dieser geöffnet ist. In der Realität machen die Fluggesellschaften eine Risikoanalyse, die aber auch die Wahrscheinlichkeit einer Zwischenlandung miteinberechnet. Da kann es durchaus vorkommen, dass ein Flughafen als Ausweichplatz in der Flugplanung auftaucht, bei dem man im Notam den netten Kommentar findet, dass dieser Flugplatz aufgrund terroristischer Gefährdung nur bei aktuellem Notfall angeflogen werden soll. 

 spacer.png

Airspace Risk summary 11.3.22 - Source: https://safeairspace.net/summary/

 

Piloten wenden für eine Flugplanung eines Langstreckenflugs unmittelbar vor der Reise vielleicht 20 Minuten auf. Man beschränkt sich auf das aktuelle Wetter, die neusten Notams und die Bestimmung der Fuelmenge. Es versteht sich von selbst, dass diese 20 Minuten viel zu wenig sind. Es ist unvermeidbar, dass sich die Piloten im Vorfeld des Fluges einen guten Überblick über die Lage in den überflogenen Gebieten machen. Eine gute Hilfe sind da spezielle Seiten im Internet, wie zum Beispiel die oben verlinkte. Auf dem ersten Bild sieht man deutlich, dass ein Flug von Zürich nach Bangkok über einige Gebiete führt, die man privat vielleicht nicht bereisen würde. Wenn ein Flugzeug aufgrund eines Notfalls in diesem Gebiet landen muss, ist das Abenteuer leider noch lange nicht vorbei. Die Herren auf den linken Sitzen (damit meine ich auch Copiloten, die als PIC im Reiseflug auf dem linken Sitz Platz nehmen) sind sich ihrer Verantwortung für Mensch und Maschine sehr wohl bewusst.

 

Doch auch wenn - wie eigentlich fast immer - nichts passiert, sind die Überflüge über Konflikt- und Kriegsgebiete nichts Schönes. Man ist sich sehr wohl bewusst, welches Leid sich 10‘000 Meter unter der klimatisierten Flugzeugkabine abspielt. Es wäre schön, wenn die oben verlinkte Karte etwas an roter und gelber Farbe verlieren würde. Ganz farblos wird sie leider nie werden.

 

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Ich gehe davon aus, dass die Airline, für die du geflogen bist, Dispatcher anstellen. Ein Grossteil der Planung wird durch diese erledigt. 

 

Quote

Piloten wenden für eine Flugplanung eines Langstreckenflugs unmittelbar vor der Reise vielleicht 20 Minuten auf. Man beschränkt sich auf das aktuelle Wetter, die neusten Notams und die Bestimmung der Fuelmenge. Es versteht sich von selbst, dass diese 20 Minuten viel zu wenig sind. 

 

Bearbeitet von oneworldflyer
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Rumpelstilzchen
Zitat

Ich gehe davon aus, dass die Airline, für die du geflogen bist, Dispatcher anstellen. Ein Grossteil der Planung wird durch diese erledigt. 

 

Selbstverständlich. Ohne Dispatcher geht das heute nicht mehr. Unter "Flugplanung" meine ich das Durchsehen und Kontrollieren der Flugplanung, denn mit ihrer Unterschrift bestätigen die Piloten die Legalität der manchmal 50-seitigen (!) Planung. Es kommt immer wieder vor, dass sich seit der ersten Planung des Dispatchers die Wettersituation verändert hat und ein ursprünglich planbarer Alternate nicht mehr den Kriterien genügt. Ferner können technische Unzulänglichkeiten dazu führen, dass höhere Landeminima als Planungsgrundlage benötigt werden, etc. 

 

Es geht bei der Flugplanung der Piloten auch darum, zusammen das "big picture" zu zeichnen. Da muss man zu Hause bereits Vorarbeit geleistet haben.

 

Im Extremfall kann es sogar vorkommen, dass die Piloten vom Dispatcher eine andere Route verlangen. 

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Mein Dispatcher ist  Bestechlich. Ich bring dem immer guten Rotwein mit und bekomme immer das was ich will. 

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