Zum Inhalt springen

Als mein Schutzengel mitflog...........


D. Baumgaertner

Empfohlene Beiträge

D. Baumgaertner

Es muss um 1980 herum gewesen sein. Jedenfalls war es ein 13. April (ausgerechnet!). Wenn ich daran denke, kommt mir immer das Märchen: „Als einer auszog, das Gruseln zu lernen“ in den Sinn.

 

Es ist ein wunderschöner Tag mit blauem Himmel und viel Sonne, als ich mit einem ausländischen Fluggast, der in unserer Firma zu Besuch weilt, in einen Motorfalken (mit Zentralrad und je einem kleinen Stützrad links und rechts) einsteige. Ich fliege diesen Motorsegler gerne, er ist problemlos zu bedienen und hat sehr gutmütige Flugeigenschaften – fast eine „Mini Ju 52“ für Sportflieger.

 

Wir starten im Schweizer Mittelland mit Ziel Alpen. Nach längerem gemächlichem Steigflug sind wir im Titlisgebiet auf ca. 3'500 m angelangt. Atemberaubend – das Alpenpanorama. Mein Passagier ist restlos begeistert. Im Süden staut sich die Bewölkung an den Bergen, gegen Norden jedoch keine Wolke.

 

Als wir so die Alpenkette Richtung Säntis entlang fliegen und uns an dem überwältigenden Panorama ergötzen, sehe ich plötzlich, wie die Fahrtmesseranzeige zurückgeht. Obwohl die Luft ruhig ist, kommt mir sofort der Gedanke, dass das eine grossflächige und kräftige Fallwindzone sein muss. Ich bin so auf den Fahrtmesser fixiert, dass ich das Variometer in diesem Augenblick nicht beachte. Sonst hätte ich nämlich erkannt, dass dem nicht so war.

 

Also – logische Gegenmassnahme gegen Fahrtverlust: Nase runter, Gas geben und Fahrt aufholen. Trotzdem geht der Fahrtmesser immer weiter zurück. Was soll denn das? Fieberhaft überlege ich, was da los sein könnte und blicke dabei nach links aus dem Cockpit auf die Tragfläche. Oh Schreck – das letzte Drittel der Fläche schwingt auf und ab wie bei einem Vogel im Flug. Das gleiche mit der rechten Fläche.

 

Jetzt schaltet es! Ich bin trotz der inzwischen auf Null zurückgegangenen Fahrtmesseranzeige viel zu schnell. Blitzartig nehme ich das Gas heraus. Mein Fluggast hat die brenzlige Situation inzwischen ebenfalls erkannt und will mit dem Fallschirm aussteigen. Ich sage ihm – er soll warten.

 

Plötzlich sehe ich meinen ersten Fluglehrer vor mir, als er das Thema „Langsam- und Schnellflug“ abgehandelt hatte. „Wenn ihr bei überhöhten Geschwindigkeiten ruckartig zieht – was kann dann geschehen?“ Er biegt dabei ein kleines Stöcklein an beiden Enden nach oben – bis es „knack“ macht und das Stöcklein entzwei bricht. Sehr eindrücklich!

 

Daran muss ich jetzt sofort denken und nehme den Steuerknüppel millimeterweise zurück. Die Nase unseres Motorseglers, die noch steil nach unten zeigt, richtet sich langsam auf. Ich spüre an beiden Wangen im Gesicht, wie diese nach unten gezogen werden.

 

Endlich – die Nase des Falken zeigt in den Himmel und ich lasse ihn steigen, steigen, steigen. Die Fahrmesseranzeige verharrt ungerührt auf Null. Mein Fluggast sitzt wie erstarrt neben mir und sagt keinen Ton mehr.

 

Plötzlich habe ich nach Ruderdruck und Strömungsgeräuschen das Gefühl, jetzt könnte es gut sein. Also zurück in die Normalfluglage und eine Schilderung der Situation über Funk an meinen Startflugplatz. Jetzt höre ich plötzlich von einem Segelflieger, dass der das gleiche Problem hat.

 

Ich drehe Richtung Flachland ab und beginne zu sinken. Nach etwa einer Viertelstunde beginnt sich der Fahrtmesser wieder langsam zu rühren. Es muss sich also um eine Vereisung entweder des Instrumentes oder der Zuleitung handeln. Das Staurohr befindet sich bei diesem Falken im oberen Teil der Dämpfungsfläche des Seitenleitwerkes. Eine lange Leitung zum Instrument. Wenn da vor mir vielleicht einer im Regen geflogen ist, könnte sich Wasser angesammelt haben und dann in grosser Höhe gefroren sein. Kleine Ursache – grosse Wirkung!

 

Nun, ich ahne jetzt, was los ist und kann entsprechend reagieren. Ich verlasse mich ausschliesslich auf die Fluggeräusche und den Ruderdruck – dem Fahrtmesser traue ich – obwohl er jetzt wieder zu funktionieren scheint – nicht mehr über den Weg.

 

Anflug auf den Platz: Ich sinke mit (angezeigter) Ueberfahrt auf die Graspiste zu und hungere den Vogel etwa einen halben Meter über dem Boden langsam aus. Problemlos und weich setzen wir auf. Der Fahrtmesser hat wieder richtig angezeigt.

 

Noch einmal gut gegangen! Moral von der Geschichte: Hätte ich mich damals nicht voll auf den Fahrtmesser konzentriert sondern gleichzeitig auch das Vario (keine Anzeige von Sinken) beobachtet, dann wäre mir wohl klar geworden, dass der Fahrtrückgang nur am fehlerhaften Instrument liegen konnte. Aber nachher ist man ja immer schlauer!

 

D. Baumgärtner

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Sehr eindrücklich geschrieben, Kompliment! Es sind genau diese Erfahrungen, die weitergegeben werden müssen, damit andere daraus ihre Lehren ziehen können. Danke für den Beitrag!

 

Gruss Reto

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

D. Baumgaertner

Danke für das Kompliment! Zürich Höngg?! Welch' ein Zufall. Da schlage ich mich in meinem Treuhandbüro wochentags mit Buchhaltungen, Abschlüssen Steuern und Formularen statt mit defekten Fahrtmessern herum! Fragt sich nur, was nerviger ist........!

 

D. Baumgaertner

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hallo Dietwolf

 

vielen Dank für dein Erlebnis. Ich hoffe doch schwer, dass auch in paar "Uhrenladen/Glasscockpit-Fanatiker" sich deinen Bericht zu Gemüte führen, damit sie sehen, dass der Arschometer eben durch kein Instrument zu ersetzen ist, zumindest in der Privatfliegerei.

 

Auch ich durfte, trotz vergleichsweiser kurzen "Flieger-Laufbahn", bereits in den Genuss eines fehlerhaften Fahrtmessers kommen. Zum Glück habe ich es schon im Schlepp bemerkt, wesshalb ich nicht draufreingefallen bin.

 

Gruss

Stefan

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

D. Baumgaertner

Hallo Stefan

 

"Arschometer" - eine glänzende Bezeichnung für das natürliche fliegerische Gefühl. Das muss ich mir merken. Ja, wir von der Privatfliegerei können dieses "Instrument" im Falle eines Falles verwenden - nicht aber die Ariline-Kapitäne. Da ist ja vor längerer Zeit eine Boeing 757 vor der Dominikanischen Republik nach einem Nachtstart mit deutschen Tourinsten an Bord ins Meer gefallen, weil einer der beiden Fahrtmesser nicht funktioniert hatte und man dann nicht nach dem korrekt funktionierenden flog (Insekten hatten am Boden das nicht abgedeckte Staurohr verstopft). Gegenüber der Technik ist immer Misstrauen angebracht - deshalb bin ich auch froh, muss ich nie IFR fliegen!

 

Schönen Gruss!

 

Dietwolf

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Dein Kommentar

Du kannst jetzt schreiben und Dich später registrieren. Wenn Du ein Konto hast, melde Dich jetzt an, um unter Deinem Benutzernamen zu schreiben.

Gast
Auf dieses Thema antworten...

×   Du hast formatierten Text eingefügt.   Formatierung jetzt entfernen

  Nur 75 Emojis sind erlaubt.

×   Dein Link wurde automatisch eingebettet.   Einbetten rückgängig machen und als Link darstellen

×   Dein vorheriger Inhalt wurde wiederhergestellt.   Editor leeren

×   Du kannst Bilder nicht direkt einfügen. Lade Bilder hoch oder lade sie von einer URL.

×
×
  • Neu erstellen...