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Silber C - Flug mit skurrilem Abschluss


D. Baumgaertner

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Manchmal gibt es auch in der Fliegerei so skurrile Vorkommnisse, dass auch die blühendste Phantasie nicht ausreichen würde, diese zu erfinden. Aber fangen wir von vorne an:

 

27. August 1966. Ein herrlicher Sommertag mit blauem Himmel und kleineren Cumulus-Wolken, die wie eine Schafherde gemächlich von West nach Ost ziehen.

 

Die ersten beiden Bedingungen für meine Silber-C, einen Flug von mindestens fünf Stunden Dauer und eine Startüberhöhung von mindestens 1000 Metern, habe ich im gleichen Monat bereits erflogen. Nun fehlt mir noch der Streckenflug von mindestens 50 Kilometern.

 

Die rot-beige Ka 8 b steht, mit dem plombierten Barographen bestückt, für mich bereit. Letzte Instruktionen von unserem Fluglehrer, dann hole ich über Funk vom Tower des Flughafens Köln-Bonn die Startfreigabe ein.

 

Kurz darauf schleppt mich unsere Winde parallel zur Startbahn für die Jets auf 450 m Höhe. Das Schleppseil klinkt aus- Linkskurve. Der leichte Wind weht aus Richtung Nordwest. Ueber den Betonflächen des Flughafens und der Startbahn bilden sich die Thermikblasen, die mir nun weiterhelfen müssen. Kurze Ueberlegung: Wenn der Wind aus dieser Richtung bläst, müssen die Thermik-Ablösungen, die langsam schräg nach oben steigen, im Osten des Flughafens über dem Waldgebiet zu finden sein. Also auf nach Osten und das Variometer beobachten. Wir haben in der Ka 8b ein Variometer, das wie ein Thermometer mit zwei Röhren aussieht. In der einen Röhre befindet sich ein rotes Kügelchen für Sinken, in der zweiten Röhre ein grünes für Steigen. Eine Skala zeigt Steigen und Sinken in Metern pro Sekunde an. Dieses Variometer ist viel übersichtlicher als das sonst übliche runde Variometer.

 

Mit einem Auge blicke ich nach draussen, mit dem anderen auf das Variometer. Das rote Kügelchen tanzt in der Röhre auf und ab. Plötzlich wird das grüne aktiv. Ich warte noch etwa drei Sekunden und drehe dann ein. Nach einigem Zentrieren geht es zuerst mit einem Meter - dann mit zwei Metern und schliesslich mit mehr als drei Metern pro Sekunde aufwärts. Bald zeigt mein Höhenmesser 1000 m, dann 1500 m und später sogar fast 2000 m. Der Flughafen Köln-Bonn, mit einer Meereshöhe von ca. minus 50 Metern, liegt weit unter mir.

 

Ich hole mir vom Tower die Freigabe und begebe mich auf Strecke. Der Rhein und der Kölner Dom ziehen unten vorrüber . Es ist Wochenende, die Militärflugplätze sind dicht und auf meiner Strecke gibt es keine Verkehrsflughäfen mit entsprechenden Kontrollzonen mehr. Daher kann ich kaum jemandem in die Quere kommen.

 

Die Navigation ist damals nicht meine besondere Stärke und auch in dem topfebenen Gebiet westlich von Köln, wo eine Ortschaft aussieht wie die andere, ist sie nicht gerade einfach. Auch das ständige Kreisen und das Fliegen im Sägezahn-Verfahren (unter einer Wolke steigen und dann in Gleitflug sinkend zur nächsten Woke, dort wieder kreisend steigen usw. usw. lässt die genaue Orientierung schnell schwinden. Klar ist nur, dass ich mindestens 5o Kilometer Richtung Westen fliegen muss, um die letzte Bedingung für meine Silber C zu erfüllen.

 

Da der Kompass bald schneller kreist als ich selbst, orientiere ich mich an der Sonne. Sie muss immer schräg links von mir stehen, dann bin ich auf Kurs. Die Karte habe ich als inzwischen völlig überflüssiges Relikt weggesteckt.

 

So geht es stundenlang weiter und weiter. Die Thermik ist so gut und beständig, dass ich mich fast nicht mehr bemühen muss, sie zu finden. Kurven - Gleiten - wieder kurven - wieder gleiten.

 

Plötzlich kommt mir die Gegend ziemlich "spanisch" vor. Was ist denn das? Diverse Strassen und Feldwege enden plötzlich in Nichts. Wie abgeschnitten!

Da macht es "klick" und ich realisiere, dass das die holländische Grenze sein muss. Da bin ich bereits viel weiter, als ich eigentlich fliegen wollte. Das sind auf jeden Fall viel mehr als 5o km (bestätigt wurden mir später 76 km!).

 

Also - auf dem Absatz kehrt und zurück! Wenigstens ein Stück weit. Da kommt der zweite Schreck: Unter mir ein riesiger Militärflugplatz mit den bekannten Betonhangars. Einige Camberra-Düsenbomber stehen unten herum. Das scheinen Engländer zu sein (Richtig: Es ist die Militärbasis Wildenrath der Engländer). Auch Segelflieger gibt es da unten. Das werden wahrscheinlich Militäranghörige sein - denke ich mir. Von unten blinken sie mit einem Scheinwerfer. Oh weh - das wird einen Riesenanschiss geben! (Nein - hätte es nicht gegeben. Das waren deutsche Segelflieger, die mich einladen wollten, bei ihnen zu landen).

 

Inzwischen habe ich Reissaus genommen und bereite mich auf eine Landung in freiem Gelände vor. Vorne die Alleebäume einer Bundesstrasse und dahinter eine Wiese, die auch für die Bauchlandung eines Starfighters gereicht hätte.

 

Klappen ausfahren und runter. Haube auf - steif gesessen raus aus dem Vogel. Schon kommen die ersten Schaulustigen. Ein recht zuverlässig aussehender Zaungast wird mit der Bewachung des Seglers beauftragt, ein anderer fährt mich zum nächsten Polizeiposten, wo ich mir die Landung bescheinigen lasse. In einem nahegelegenen Einfamilienhaus kann ich meine Kameraden anrufen, die mich mit dem Transportwagen abholen sollen.

 

Und jetzt kommt der Hammer: Als ich zum Flugzeug zurück marschiere, steht ein schwarzer Leichenwagen an der Strasse und zwei schwarz Uniformierte stapfen über die Wiese zu meinem Segler. Sie wollen nur ihr Interesse an dieser Aussenlandung stillen - wie sich bald herausstellt. Weniger mein Flieger aber umso mehr der Leichenwagen und was man dahinter vermuten könnte, weckt die Neugier unzähliger Autofahrer auf der nahen Bundesstrasse. Bald ist diese von stehenden Autos belagert. Fehlanzeige - damit kann ich - Gott sei Dank - nicht dienen.

 

Nach Stunden kommen die Kameraden und im Scheinwerferlicht ihres Autos nehmen wir die Ka 8b auseinander und verladen sie auf den Transportanhänger. Ich habe es geschafft - die letzte Bedingung für das silberne Segelflieger-Leistungsabzeichen ist erfüllt. 76 km von Köln-Bonn entfernt an der Bundesstrasse bei Niederkrüchten, Kreis Erkelenz, nahe der holländischen Grenze.

 

Dietwolf

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Hast du ein so einwandfreies Gedächtnis, oder hast du dir das irgendwo aufgeschrieben.

Auf jedenfall eine ganz interessante Geschichte so wie alle anderen von dir, die mich immer wieder faszinieren können.

 

E grues vom Sevo

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Hallo Sevo

 

Beides ist der Fall. Die Daten kommen von meiner Silber-C Urkunde und von den Barographenblättern, die ich bis heute aufbewahrt habe.

 

Dann habe ich an bestimmte Ereignisse eine gestochen scharfe Erinnerung. Das betrifft nicht nur die Fliegerei sondern auch frühere Reisen. Ein Beispiel: 1965 unternahm ich als Tourist einen Ausflug von Beirut nach Damaskus.

 

Nach der Fahrt über das Libanon-Gebirge und dann durch die Wüste hatte ich einen ungeheuren Hunger. Gegenüber dem Hauptbahnhof von Damaskus war ein Lokal. Dort hatte ich die "besten" Spaghetti mit Tomatensosse meines Lebens gegessen......! Ich sehe das Teller noch heute vor mir. Diese Dinge laufen in meinem Gedächtnis ab wie ein archivierter Film.

Auch an das Kriegsende in meiner früheren süddeutschen Heimatstadt kann ich mich erinnern, als wäre es gestern gewesen - obwohl ich zu dieser Zeit etwa 3 1/2 Jahre jung war. Ich sehe den amerikanischen GI in seinem Jeep noch wie gestern vor mir, als dieser mit seiner MP nervös herumfuchtelte. Andere Dinge sind dagegen völlig aus dem Gedächtnis verschwunden. So stehen Namen von Fluggästen in meinem Flugbuch, an die ich mich überhaupt nicht mehr erinnern kann.

 

Ich glaube dass die jahrzehntelange Arbeit mit Zahlen (Treuhänder) mein Gedächtnis trainiert hat und auch mit 64 immer noch frisch hält. Merkwürdig - aber es ist so! Oder es ist Vererbung. Mein Vater erledigt mit 92 Jahren noch seine gesamte Korrespondenz an seinem Computer. Und hat an seinem PC einen Riesenspass! Vielleicht liegt es aber auch zum Teil daran, dass ich nie geraucht und sehr wenig Alkohol getrunken habe. Und Medikamente scheue ich wie der Teufel das Weihwasser - es sei denn, dass es gar nicht anders geht.

 

Schönen Gruss!

 

Dietwolf

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Genial

 

Danke dass du uns immer wieder an deinen Erfahrungen teilhaben lässt, denn ich denke Erfahrungen sind nur allzu oft viel mehr Wert, als der Stoff der uns im Unterricht beigebracht wird. Meiner Meinung nach sind es eben solche Erfahrungen, die das Leben eines Menschen ausmachen, sie sind ein unermesslicher Schatz in jeder Beziehung.

Deshalb danke ich dir, dass du uns diese so überaus wertvollen Erfahrungen vermittelst. Doch möchte ich nicht nur dir danken, sondern auch all den andern Aviatikangefressenen in diesem Forum.

 

E grues

 

Severin

 

hoffentlich hat das nicht zu philosphisch geklungen;)

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