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Rettungsschirm - gestern und heute


Thermikus

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Wenn ich mir heute so mit ansehe, wie meine Kollegen in ihre Kunststoffsegler steigen, dann ist da ein elementarer Unterschied zu früher festzustellen:

 

Die heutigen Rettungsfallschirme sind fast flach wie eine Flunder, bedecken den ganzen Rücken und ein kleiner abgeknickter Teil dient noch als so eine Art Sitzkissen. Die Auslösung erfolgt praktisch nur noch manuell per Zug am Auslösegriff. Auch das Gewicht der Fallschirme gegenüber früher hat sich deutlich reduziert.

 

Der manuell auslösbare Griff hat den unbestreitbaren Vorteil, dass sich der Pilot nach dem Notausstieg per freiem Fall genügend weit vom Flugzeug enfernen kann und nach dem Auslösen des Schirms kaum Gefahr läuft, vom abstürzenden Flugzeug eingeholt und mit in die Tiefe gerissen zu werden. Der nicht zu stark zu gewichtende Nachteil dieser manuellen Schirme ist, dass, wenn der Pilot beim Aussteigen mit dem Kopf gegen das Flugzeug schlägt oder bei Kollisionen von einem frei durch den Raum wirbelnden Teil getroffen und bewusstlos wird, der Schirm nicht mehr manuell ausgelöst werden kann.

 

Eine weitere Gefahr bei diesen Schirmen ist, dass beim Notausstieg in geringer Höhe die zwingend nötige Fallstrecke für die vollständige Oeffnung des Schirmes falsch eingeschätzt wird und der Pilot mit ungeöffnetem oder nicht vollständig geöffnetem Schirm auf den Boden prallt.

 

Zu meiner Segelfliegerzeit hatten wir ausnahmslos automatische Schirme. Diese waren kompakte und relativ gewichtige Pakete, die mit einer einige Meter langen kräftigen gelben Reissleine im Rumpfgestänge hinter dem Pilotensitz mit einem Spezialknoten (den jeder zu beherrschen hatte) befestigt waren.

 

Der Fallschirm befand sich während des Flugbetriebes immer im Flugzeug. Vor dem Start hatte man das Gurtzeug anzulegen und klinkte dann die Karbinerhaken des Schirms in die Oesen des Gurtzeugs ein.

 

Bei einem Notausstieg liess man sich dann einfach über die Bordwand ins Freie fallen oder legte, wenn das noch möglich war, den Segler auf den Rücken und fiel kopfüber aus dem Flugzeug. Bereits nach kürzester Fallstrecke wurde die mit dem Flieger verbundene Reissleine gestrafft und das eigene Körpergewicht zog den Fallschirm aus seiner Hülle, die im Flugzeug verblieb.

 

Es dauerte dann nur noch Sekunden, bis sich der Schirm automatisch voll entfaltet hatte. Bei ungünstigen Verhältnissen - so etwas bei einem Ausstieg während des Trudelns (zum Beispiel bei einer abgebrochenen Tragfläche) - konnte es vorkommen, dass der nach unten sprialende Segler und der Fallschirm sich eineinander verhedderten und dies tödlich endete.

 

Allerdings ist mir nie ein solcher Fall bekannt geworden.

 

Dietwolf:009:

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Hi Dietwolf,

 

höre ich da einen "früher war alles besser" Unterton raus ?

Ganz ohne Zweifel war die Konstruktion von Fallschirmpacksack und Gurtzeug als getrennte Bauteile insofern vorteilhaft, dass es Gurtzeuge verschiedenster Größe gab, und daher auch zierliche 14jährige Flugschülerinnen nicht wie ein Schluck Wasser im Gurtzeig hingen. Der Preis eines weiteren Gurtzeugs war im Vergleich zum Komplettschirm extrem viel geringer, daher war das kein Problem. Ich habe nicht mehr oft mit diesen Schirmen gearbeitet, aber mehrfach erlebt, dass Piloten entweder vergessen hatten, sich einzuklinken, oder beim Einklinken der Karabiner auch gleich noch ein Rohr des Rumpfgerüstes mit angebunden haben. (Sozusagen eine frühe Form des Gesamtrettungssystems :009: ). Ausserdem kamen die Bänder am Karabiner gern mal den Seitenruderpedalen des Fluglehrers in die Quere. Also wirklich nachtrauern tue ich dieser Konstruktion nicht mehr.

 

Wenn ich mich richtig an die Statistik von Prof. Röger (FH Aachen) erinnere, haben Personnenrettungsschirme etwa eine 50%ige Erfolgsquote, und manuelle und automatische Schirme schneiden gleich gut (oder gleich schlecht ?) ab.

 

Bezüglich "Bei einem Notausstieg liess man sich dann einfach über die Bordwand ins Freie fallen " kann ich nur sagen, über die Bordwand einer Ka6 lässt sich ab spätestens 2g niemand mehr fallen, aus einem flach gebauten Kunststofflugzeug (DG, Glasflügel, LS) kann man sich dagegen wesentlich einfacher rausrollen, auch noch bei über 2g. In diesen relativ eng gebauten Flugzeugen kann sich auch der Packsack u.U. verkeilen anstatt herausgezogen zu werden, und dann wird die Reissleine nie straff, und du hängt direkt neben deinem Flugzeug und hast das meiste hinter dir. Es gibt auch dokumentierte Fälle, bei denen die Reissleine an Resten der Haube durchgeschnitten wurden, oder die Befestigungen (oft nur Metallringe mit zwei M6er Schrauben am Sperrholz befestigt) rausgerissen sind.

 

Ich bin ausgesprochener Fan der manuellen Rückenchirme mit Zwangsauslösung, die du wahlweise selbst auslösen kannst, oder warten bis es die Aufziehleine tut. Wenn du bewußtlos bist, rettet dich die Automatik, wenn deine Leine abgerissen ist, kannst du noch manuell auslösen. Derartige Schirme werden von einigen Herstellern angeboten.

 

Das wichtigste jedoch, ist ein bewußter Umgang mit dem Schirm. Neben den eigentlich selbstverständlichen Pflegemaßnahmen (nicht im Dreck liegen lassen, nicht als Sitzkissen im Gras benutzen...) zählt z.B. auch dazu, IMMER mit Schirm auszusteigen, und ihn erst außerhalb des Flugzeugs abzulegen. Angeblich hat es schon Piloten gegeben, die ihr Leben lang den Schirm immer schon im Flugzeug abgeschnallt haben, und dies leider aus Gewohnheit auch beim Notausstieg gemacht haben.

Den Notasstieg sollte man sich selbstverständlich vor jedem Start nochmal verinnerlichen, und am Boden auch mal üben. Wir haben das einmal im Fliegerlager an einem Regentag gemacht. Einen Schüler im Cockpit festgeschnallt, einen an jede Cockpitseite zum fangen der Haube gestellt, und dann den Schüler auf einen Klaps auf die Flugzeugschnauze hin die Haube abwerfen, und aussteigen lassen. Mit Stopuhr. Die ersten Anläufe waren verherend. Einige haben den Notabwurf komplett falsch bedient (man betätigt ihn ja normalerweise nie...), z.T. haben die Schüler zwar die Haube entriegelt und hochgehoben, sich dann aber gewundert, das der Klapppilz gar nicht automatisch hochfährt, sondern erst mit den Knien weggedrückt werden muß. Qusi bei jedem der Schüler konnte man schön andere Fehler aufzeigen, alle haben viel wertvolle Zeit verschwendet. Bein zweiten Anlauf waren dann alle entscheidend schneller, und fliegen hoffentlich jetzt ein bischen sicher durch die Gegend, als früher.

 

Gefahren darf man nicht ignorieren, man muss sich auf sie vorbereiten, dann sind sie auch gar nicht mehr so groß. Und mach dir mal den Spaß einen Flugschüler zu fragen, warum er einen Fallschirm trägt. (Natürlich einen, der dich nicht kennt und für einen Besucher hält, sonst ist das alles witzlos). Wetten die Antwort ist "weil das Vorschrift ist". Wer zieht den Fallschirm im Bewußtsein an, dass der ihn vielleicht beim nächsten Flug sicher zu Boden bringen wird ?

 

Gruß

Ralf

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Ralf - Dein Kommentar ist der eines Praktikers (und nicht eines Theoretikers) und Du hast von A - Z recht. Von den automatischen Schirmen war ich nie begeistert - aber wenn du nichts anderes hast - dann frisst der Teufel in der Not auch Fliegen.

 

Ein Schirm - egal welcher - vermittelt einfach das Gefühl, im Falle eines Falles noch eine letzte Möglichkeit zu haben, mit heiler - oder annähernd heiler Haut wieder zurück auf den Boden zu gelangen. Ob das dann tatsächlich so funktioniert, ist dann eine andere Frage. Auf jeden Fall wirkt ein Schirm beruhigend - und das ist schon etwas, wenn Du in tausend Meter Höhe in einem Pulk von Seglern Kreis um Kreis ziehst und Dir der eine oder andere Kollege penetrant dicht auf den Pelz rückt.

 

Im Prinzip sollte es eine Trainingsstätte geben, die ich mir etwa so vorstelle:

Ein in einer grossen Halle unterhalb der Decke an Seilen befestigter Segelflugzeugrumpf mit einigen Metern Tragflächen. Darunter eine grosses Netz und davor eine Art Windkanal. Und dann wird unter realistischen Verhältnissen das Abwerfen der Haube - und das blitzartige Aussteigen aus dem Segler mit umgeschnalltem Fallschirmpaket (meinetwegen könnte dieses für das Ueben Putzlappen enthalten) trainiert. Die Hemmschwelle, im echten Notfall so zügig wie möglich auszusteigen, könnte so wahrscheinlich deutlich gesenkt werden und das Ausstiegsverfahren ginge in Fleich und Blut über und wäre bei einem Absturz sofort abrufbar.

 

Der manuelle Fallschirm ist selbstverständlich immer die beste Variante. Nehmen wir nur einmal den Fall an, du wirst mit deinem Segler in eine Gewitterwolke hineingezogen und steigst dort mit einem automatischen Schirm aus. Dann wirst du als Gefrierfleisch wieder zur Erde zurückkehren.

 

Das Problem beim Aussteigen sind immer noch die hohen Beschleunigungen, die bei unkontrollierten Fluglagen auftreten. Da habe ich von einer interessanten Möglickkeit gelesen: Mit dem Abwerfen der Cockpithaube wird eine Art Luftmatratze aufgeblasen, die den Piloten über den Cockpitrand hebt, so dass er sich nur noch zur Seite rollen muss, um vom Flugzeug frei zu kommen.

 

Aber wir können hier noch so intensiv von diversen Ausstiegsverfahren schwafeln, die Praxis ist dann dramatischer und verlangt kühlen Kopf und ein gerüttelt Mass an Kaltblütigkeit. Und daran hapert es im echten Notfall dann doch des öfteren.

 

Ich bin der Meinung, dem mentalen Training und der Instruktion für einen echten Fallschirmabsprung im Notfall sollte in den Segelfluggruppen wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ein Schirm ist nicht ein klotziges Beruhigungsmittel sondern die letzte Möglichkeit im Ernstfall. Und das sollte man nie vergessen.

 

Immer noch gilt das ungeschriebene Gesetz: "Hast du einen Schirm - und brauchst ihn nicht zur rechten Zeit - dann brauchst ihn nimmer - in alle Ewigkeit!

 

Dietwolf:002:

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