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Negative V-Form


Caprice

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Hallo Leute

 

ich wollte schon lange gern wissen, wieso bei manchen Flugzeugen, meist Militärflugzeugen, die Tragflächen eine negative V-Form haben. Eine positive V-Form trägt doch zur Eigenstabilität in der Rollachse bei !? Oder?

 

Gruss, Hans

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Ich gehe mal davon aus, daß Du mit V-Form den "Dihedralwinkel" meinst und nicht die Pfeilung der Tragflächen:

 

Grundsätzlich trägt eine V-Anordnung der Tragflächen zwar zur Stabilität bei, aber NICHT gemäß der Folklore, daß die vertikale Projektion des Auftriebsvektors (in Richtung Schwerkraftvektor) damit viel zu tun hätte - in einer (nicht zu engen) koordinierten Kurve ohne Slip oder Skid sind die Auftriebskräfte an beiden Tragflächen ja immer symmetrisch zum Vektor der Summe aus Schwerkraft und Zentralkraft, also gibt es garkein "aufrichtendes" Drehmoment.

Das Stichwort heißt "Slip-Roll-Coupling": SCHIEBT z.B. der Flieger in Richtung linke Seite, so wirkt bei positivem V ein ROLLmoment, das nach rechts dreht und umgekehrt.

Aber: Solche und entgegengesetzte Momente üben z.B. auch die Seitenflosse und der Rumpf aus (unterschiedlich bei Hoch- und Tiefdeckern), somit geht es um das Gesamtmoment beim Schieben und beim Rollen. Je nachdem kann also auch ein negatves V sehr sinnvoll sein, z.B. um einer allzugroßen Stabilität (und damit schwerer Steuerbarkeit) entgegenzuwirken. Beispiele außer reinen Mil-Fliegern sind z.B. auch viele  Tupolevs, Tu-134 usw. mit ihren sehr großen Seitenflossen.

 

Gruß

Peter

Bearbeitet von PeterH
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Hallo Peter

 

vielen Dank für Deine ausführlichen Erklärungen. Ist ja hoch interessant. Ich muss mich mit dem Thema rein interessehalber noch etwas auseinandersetzen.

 

Gruss, Hans

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Wie bereits korrekt berichtet, gibt die V-Form (dihedral) dem Flugzeug Rollstabilität. Der Aufrichtmechanismus funktioniert via schieben (yaw). Erfährt das Flugzeug durch eine Störung einen Querlagewinkel, so fängt es deshalb an zu schieben in Richtung des tieferen Flügels. Durch die Geometrie der V-Form bedingt, erfährt im Schiebezustand der vordere (in diesem Fall der untere) Flügel einen grösseren Anstellwinkel und dadurch mehr Auftrieb. Dies bewirkt ein aufrichtendes Moment. --> Schieberollmoment (roll due to yaw)

Nebst weiteren Effekten die ich hier mal weglasse, hat auch die Anordnung des Tragflügels am Rumpf und die Rumpfform einen Einfluss auf auf das Schieberollmoment. Im Schiebeflug wird der Rumpf etwas von der Seite angeblasen und die Strömung weicht über und unter dem Rumpf hindurch aus.

Beim Hoch- bzw. Schulterdecker erfährt somit der vordere Flügel eine Anströmung die etwas aufwärts gerichtet ist und der hintere Flügel eine etwas abwärts gerichtete Anströmung. Dies verändert den Anstellwinkel und damit den Auftrieb mit dem gleichen Resultat wie V-Form.

Deshalb brauchen Hoch- bzw. Schulterdecker weniger V-Form.

Beim Tiefdecker ist es grad umgekehrt, der vordere Flügel wird etwas weniger , der hintere etwas mehr Auftrieb errfahren und das Rollmoment wird auf die andere (falsche) Seite wirken. Deshalb brauchen Tiefdecker deutlich mehr V-Form.

Soweit sogut. Nun hat aber ein Schiebeflug noch andere Wirkungen, denn die Richtungsstabilität (WIndfahneneffekt) bewirkt auch ein Moment um die Hochachse und das Flugzeug dreht sich gegen die Anströmrichtung.

Fazit:

Sowohl Roll- als auch Richtungsstabilität funktionieren via Schiebeflug.

 

Weiter:

Das Verhalten des ganzen Flugzeugs ist nun vom Verhältnis zwischen der Roll- und der Richtungsstabilität abhängig.

In einem mittleren, brauchbaren Bereich sind die beiden Wirkungen so aufeinander abgestimmt, dass ein brauchbares Verhalten resultiert.

Dominiert die eine oder die andere Wirkung, so entsteht die eine oder die andere Instabilität:

Fall 1: Richtungsstabilität überwiegt: Flugzeug neigt zum Spiralsturz.  Einmal aufgetretene Querlage bewirkt Schiebeflug. Richtungsstabilität richtet das Flugzeug in Richtung des Schiebeflugs aus, aber die Querlage bleibt erhalten. Ergo schiebt das Flugzeug weiter, wird weiter gedreht usw. Ohne aktives Gegensteuern gerät das Flugzeug in einen Spiralsturz. 

Fall 2: Rollstabilität überwiegt: Flugzeug macht "Dutch-Roll". Störung erzeugt Querlage. Querlage bewirkt schieben. Schieben bewirkt aufrichten der Querlage, aber Flugzeug wird nicht (besser gesagt: zu wenig) um seine Hochachse gedreht und schiebt immer noch weiter, auch wenn inzwischen die Querlage aufgerichtet ist (Massenträgheit). Das Rollmoment bewirkt dadurch eine Querlage auf die andere Seite bis schliesslich der Schiebeflug beendet ist. Doch nun besteht Querlage auf die andere Seite und der Vorgang wiederholt sich in die andere Richtung. Dies führt zu einer kombinierte Roll-Gier-Schwingung die man als Dutch-Roll bezeichnet.

 

So, etwas gelernt. Aber das ist noch nicht alles:

 

Es gibt noch das sogenannte "aerodynamic damping" welches einen wesentlichen Beitrag zur dynamischen Stabilität leistet. Aber nun ist es so, dass aerodynamic damping mit geringerer Luftdichte abnimmt.  Und es ist weiter so, dass die Richtungsstabilität mehr vom aerodynamic damping profitiert als die Rollstabilität.

D.h. in grösserer Flughöhe nimmt die Richtungsstabilität mehr ab als die Rollstabilität abnimmt.

Mit anderen Worten:

Flugzeuge, welche in geringer Flughöhe ein ausgewogenes Flugverhalten zeigen, werden in grosser Höhe zu Dutch-roll neigen.

Gegenmassnahme 1: Flugzeuge werden so ausgelegt, dass sie sowenig wie möglich, also nur grad knapp soviel wie nötig Rollstabilität aufweisen. Dadurch wird die Grenze zu Dutch-roll in eine möglichst grosse Flughöhe gebracht.

Gegenmassnahme 2: Yaw damper. Der yaw damper erhöht aktiv die Richtungsstabilität indem er Gierbewegungen mit Seitensteuerausschlägen entgegenwirkt. Das erlaubt eine wesentlich grössere Flughöhe. Spannend wird es, wenn der yaw damper in grosser Höhe ausfällt.

 

Dies erklärt, weshalb gerade Hochdecker (Militärische Transporter) möglichst wenig, ja sogar teilweise negative V-Form (anhedral) haben.

 

Gruss

 

Philipp

Bearbeitet von Brufi
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Hallo Peter

vielen Dank für den Link!

 

Hallo Philipp

vielen Dank für diese guten und leicht verständlichen Erklärungen. Ich sehe schon, Flugmechanik und Aerodynamik ist noch viel komplexer als ich gedacht hatte.

 

Viele Grüsse, Hans

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Philipp, ganz explizit Danke, daß Du das mal in verständlichem Deutsch geschrieben hast. Ich war in den letzten Tagen leider zuerst ein bischen zu faul und dadanach dann plötzlich sehr beschäftigt... :) ;)

Bearbeitet von PeterH
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