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Boeing, Boeing


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Es war kurz vor Weihnachten 1996. Mehr als drei Jahre hat ein junger Mann Europa auf dem rechten Sitz in einer MD-81 bereist, mit jungen Crew die angenehmen Seiten des Lebens erforscht und Selbstvertrauen in einer Menge getankt, das zu einem 30-Jährigen Copiloten gehörte wie die grosse Sonnenbrille aus dem Hause Ray-Ban.

Nun sass er an diesem nasskalten Dezembertag in einem Cockpit einer B-747-357 und versuchte unter den strengen Blicken seines Ausbildners sage und schreibe 145 Tonnen Treibstoff in die zahlreichen Hohlräume des stolzen Flaggschiffs der ehemaligen Swissair zu verteilen. In diesem damals schon altertümlichen Flieger eine komplizierte und zeitraubende Angelegenheit. Galt es durch geschicktes Betätigen der Treibstoffventile zu vermeiden, dass bei Tanken ein Überlaufschutz ansprach und damit den ganzen Vorgang unterbrach, was weitere Verzögerungen zur Folge gehabt hätte.

Während im Bauch des Flugzeugs sein Gepäck für die neun Tage lange Reise nach Bombay und Hongkong verstaut wurde, verfluchte er zwölf Meter weiter oben die Verantwortlichen für das Kerosindesaster in Indien. Es wurden wenige Tage vor seinem ersten Jumboflug Wasserspuren in der unterirdischen Tankanlange in Bombay entdeckt und das führte dazu, dass der junge Flight-Engineer in Zürich die Tanks bis scharf Unterkante füllen musste.

 

Noch etwas Anderes beeinflusste seine Vorfreude auf die lange Reise Richtung Fernost. Ein paar Monate zuvor wurde er runde Dreissig und zufälligerweise auch wieder Single. Wenn nur ein Bruchteil der Räubergeschichten von der Langstrecke stimmten, die ihm die Kapitäne auf der Kurzstrecke mit einem Glänzen in den Augen erzählten, erwartete ihn eine Reise durch die Hotelbetten der weiblichen Crew.

Aus dem Cockpit hatte er kaum mit Konkurrenz zu rechnen. Der Kapitän, uralt und kurz vor der Pensionierung – also ungefähr 50 Jahre, wurde von einem Copiloten unterstützt, der früher auch Bordmechaniker war und den gleichen Jahrgang wie der Alte hatte. Der F/E-Ausbilder, der den Jungspund überwachte, schien der Älteste an Bord zu sein, was sich aber nach einem Blick auf seinen Crewausweis als falsche Annahme erwies. Der Ausbildner schien eher vom Nachtleben, als vom Alter gezeichnet. Im Wettstreit um die meisten Streifen am Jackett hatte der junge Flight-Engineer keine Chance, wenn es um die Höhe des Testosteronspiegels ging, war er von der Cockpitcrew der unumstrittene König.

 

Als der Treibstoff endlich verstaut, die Fracht hinter und unter den Passagieren verzurrt und die Gäste an Bord waren, durfte er zum ersten Mal die vier Triebwerke der 747 starten. Majestätisch hob die 747 wenige später auf der Piste 16 ab und die Adventskerzen in einigen Wohnungen in Opfikon flackerten im Takt der vier Pratt & Whitney Triebwerke.

 

Sun n’Sand, so hiess damals das Crewhotel in Bombay, empfing den jungen F/E  wie ein richtiger Anfänger. Im grossen ledergebundenen Buch waren alle Namen der Besatzungsmitglieder mit schwarzer Tinte eingetragen und dahinter standen fein säuberlich die Passnummer und die Gültigkeitsdauer des amtlichen Ausweises. Nur beim jungen Flight-Engineer fehlten diese, was ihn unweigerlich als „Hamburger“ abstempelte. Während ein Inder mit elegantem Turban seine Daten fein säuberlich notierte, beorderte der Kapitän die Crew in einer Stunde in den Crewraum. Es sollte später jeder da sein, das Wort des Chefs hatte früher noch Gewicht.

 

So kam der junge F/E pünktlich auf die Minute in den fensterlosen Raum, wo viele seiner Kolleginnen und Kollegen bereits Leckereien vor sich hatten, die so fantasievolle Namen hatten wie „Shit on Toast“ und Samosa. Er sah sich in der Runde um und resignierte. Nicht eines der weiblichen Crewmitglieder war annähernd so jung wie er damals. Man sah hochgesteckte Frisuren und gepuderte Gesichtspartien, man schwärmte vom Masseur Shintu mit den magischen Händen und lobte den lokalen Schneider, der unheimlich gut die Winterkollektion vom Grieder kopierte. Keine kecken Frisuren, keine zweideutigen Blicke, kein Lächeln beim tiefen Blick in die Augen. Der junge F/E sass vor seinem Kingfisher und hinterfragte seinen Entscheid, die jungen Mädels von der Kurzstrecke im Stich gelassen zu haben.

 

Zwanzig Jahre später sitze ich wieder in einem Boeing-Flieger und steuere diesen Richtung Westen. Runde Fünfzig Jahre werde ich in wenigen Tagen und bin noch ewig weit von meiner Pensionierung entfernt. Neben mir ein Copilot mit dem obligaten Selbstvertrauen, einer Sonnenbrille aus dem Hause Dolce & Gabbana, gerade Dreissig geworden – und sie ahnen es, frisch gebackener Single.

Er schmiedet Pläne, verspricht mir nach der Landung ein Bier auszugeben, freut sich auf das Wiedersehen mit bekannten Wirtshäusern und studiert die Crewliste ausführlich.

Im Hotel angekommen schlägt er ein frühes Treffen vor und informiert die Kolleginnen und Kollegen unverzüglich.

Zum angegebenen Treffunkt finden sich eine Handvoll hungrige Mäuler in der Lobby. Attraktive Kolleginnen in meinem Alter, einige davon habe ich Anfangs der 90er Jahre während der Grundausbildung kenngelernt, und der Kabinenchef freuen sich auf ein gemütliches Nachtessen nach dem Flug über den grossen Teich. Ich spüre gleich, das wird ein guter Abend. Der Copilot schaut mit Stirnrunzeln in die Runde und entschuldigt sich wenig später. Er hätte noch etwas zu erledigen und würde vielleicht später noch ein paar Sushi essen, meinte mein Kollege bestimmt, wünschte uns einen gemütlichen Abend und verschwand auf Nimmerwiedersehen.

 

Niemand verstand ihn besser als ich. Ob er wohl noch Single ist?

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